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Die Sendung zum Nachlesen:
„Ach wenn mir‘s nur gruselte.“ Das sagt der furchtlose junge Mann in einem Märchen von Wilhelm Grimm: „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“. Der junge Mann zieht in die Welt und erlebt sehr viel, aber nichts kann seine Furcht erregen. Nicht Gespenster. Nicht mal die Toten. Er wird König. Und er heiratet. Als er einmal schläft, zieht seine Frau ihm die Bettdecke weg. Sie überschüttet ihn mit einem Eimer kaltem Wasser mit kleinen Fischen drin. Die Fische zappeln in seinem nassen Bett um ihn herum. Der Mann wacht auf, erschrickt und ruft: „Was gruselt mir, was gruselt mir!“
Auf dieses Märchen bin ich durch Jan Frerichs gestoßen. Jan Frerichs ist ein christlicher Mystiker unserer Tage, 1973 geboren. Jan Frerichs meint: In religiöser Hinsicht gleichen viele Menschen heute diesem Furchtlosen. Kaum etwas erscheint uns noch geheimnisvoll, numinos und in diesem Sinn furchterregend. Wir sind aufgeklärt und abgeklärt. Wir haben alles unter Kontrolle. Und selbst wenn wir die Kontrolle verlieren, haben wir geübte Mechanismen, damit umzugehen. Notfalls verdrängen wir die Furcht und die Ohnmacht…
So sind viele ein bisschen wie dieser König im Märchen: gut angekommen im eigenen Leben, im Großen und Ganzen stimmt alles. Aber da ist auch eine Leere. Da fehlt etwas. Das Gruseln. Die Furcht. Eine Erfahrung des ganz Anderen, das plötzlich ins Leben einbricht – und dann ist nichts mehr, wie es war. Ein Wassereimermoment.
Niemand kann so eine Erfahrung herbeizwingen. Sie passiert einem. Unerwartet, ungewollt und oft auch unerwünscht. Man erfährt etwas auf der körperlich-physischen Ebene, und das schwingt im Inneren nach. Jan Frerichs nennt das „eine echte spirituelle Erfahrung“. Eine geistliche Erfahrung, die das Herz berührt und bewegt.
Das Herz ist in der christlich-jüdischen Tradition Symbol für das Innerste des Menschen. Es wartet darauf, etwas zu erfahren von dem Heiligen und Ewigen, von dem, was unendlich größer ist als mein Leben, mein Denken, meine Welt.
Wo und wie kann ich mich als lebendig erfahren?
Frühere Generationen haben diese Erfahrungen in den Kirchen gemacht. Aber das kirchliche Christentum in Europa steckt seit Jahrzehnten in einer Krise. Man traut den großen Kirchen nicht mehr, oft mit gutem Grund. Und vor allem traut man ihnen nicht mehr zu, dass man sich dort als spirituell lebendig erfährt.
Man muss Kirche und Christentum unterscheiden. Das Christentum ist für mich vor allem ein spiritueller Weg zu innerem Lebendigsein. Es ist die Erfahrung: „Gott ist da in deinem Leben, in deinem Inneren.“
Inneres Lebendigsein hat auch und zuerst mit dem eigenen Körper zu tun. Ich kann gar nicht sein ohne meinen Körper. Ich kann nicht anders leben, nicht anders Gott erfahren als über meinen Körper. Der Wassereimermoment ist eine körperliche Erfahrung. Durch das kalte Wasser spürt der König, dass da in ihm etwas ist, dass er innerlich lebendig ist. Der Wassereimermoment ist in diesem Sinn eine spirituelle Erfahrung.
Der Apostel Paulus hatte auch so einen Moment. Bei ihm war es nicht das kalte Wasser, sondern eine Lichterfahrung, ein Sturz vom Pferd vor Damaskus. Am Boden liegend sieht er ein Licht vom Himmel und hört eine Stimme: die Stimme von Christus. Damit beginnt für ihn ein neuer Weg. „Ich lebe, doch nun nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“, so fasst er seine Erfahrung in Worte. Manche nennen Paulus auch den ersten christlichen Mystiker.
Ich lebe. Doch ich bin nicht einfach nur am Leben und überlebe und funktioniere. Sondern meine Lebendigkeit kommt von innen. In meinem Herzen, meiner Seele, meinem Inneren – da ist es lebendig. Christus lebt in mir.
Es gilt das gesprochene Wort.