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"Gib mir bitte Geld, ich muss noch Schulsachen kaufen." Solche Sätze höre ich gerne. Denn ich bin leicht traumatisiert von den vielen Spätsommertagen, die ich mit detaillierten Anschaffungslisten (das Geodreieck muss biegsam sein und nein, es ist nicht egal, welche Marke die Buntstifte haben), dem Einschlagen von Büchern und dem Beschriften von Ordnern und Heften verbracht habe. Ganz zu schweigen vom Füllen der Schultüten. Wie herrlich, wenn das letzte von vier Kindern nur noch Geld will, um sich seine Sachen selbst zu kaufen, jetzt, wo die Schule wieder angefangen hat.
Ich denke ohne eine Spur von Nostalgie an diese Zeit zurück. Ich sitze lieber ein bisschen auf dem Balkon, während das Kind shoppen ist. Aber wenn ich da so sitze, fällt mir ein, dass der Neuanfang und die damit verbundenen Mühen noch lange nicht vorbei sind, wenn das letzte Schuljahr geschafft ist. Ich denke an die noch ziemlich jungen Erwachsenen, die jetzt eine Ausbildung oder ein Studium beginnen, einen Freiwilligendienst oder eine große Reise machen. Und an ihre Eltern, die sich nicht mehr mit Listen und Heften plagen müssen, aber dafür ganz andere Sorgen haben.
Die Sorgen der Eltern, wenn die Kinder losziehen
Ist es das Richtige für unsere Tochter? Wird unser Sohn das schaffen, so weit von zuhause weg und ganz allein? Und vor allem: Kommen sie heil zurück? Manchmal würde man lieber freiwillig abends noch ein paar Bücher einschlagen, während das Kind friedlich nebenan schläft anstatt Kilometer oder Kontinente entfernt.
Seit ich eine Mutter bin, begleiten mich die Worte des libanesischen Schriftstellers Khalil Gibran über die Kinder, die nicht unsere Kinder sind, und über uns, ihre Eltern: "Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden. Lasst euren Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein. Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist."
Leben mit großen Kindern - wie zum Zerreißen gespannt
Wie es sich wirklich anfühlt, der Bogen zu sein, das merkt man erst mit den großen Kindern. Da wirken Kräfte, denen man sich nicht entziehen kann. Das Leben mit ihnen fühlt sich wie zum Zerreißen gespannt an mit all der Liebe und der Sorge im Herzen und der Notwendigkeit, sie ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Und der Moment des Loslassens kommt irgendwann mit großer Wucht. Die Sehne eines Bogens zittert danach ein bisschen. Und die Seele von Eltern darf das ruhig auch. Denn wir Eltern bleiben, wo wir sind. Aber sie fliegen.
Es gilt das gesprochene Wort.
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