Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!
Sendung zum Nachlesen
Gleichgültigkeit habe ich eingeübt, seit ich in Berlin lebe. Ein bisschen Gleichgültigkeit jedenfalls - gegenüber den vielen Obdachlosen, die mir jeden Tag begegnen, am Bahnhof Zoo oder in der U-Bahn. Dabei gebe ich jedem, der mich fragt, einen Euro oder ich kaufe ihm etwas beim Bäcker. Aber längst weiß ich, dass ich ihnen in ihrer verzweifelten Situation nicht wirklich helfen kann. Jede und jeder bräuchte ein ganzes Team von Menschen, die ihr oder ihm helfen, wieder ins Leben zurückzufinden. Das ist schwer mit anzusehen. Ich muss mir eine dickere Haut zulegen, damit ich das jeden Tag aushalten kann.
An jedem Freitag bete ich in der Turmruine der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, nur ein paar Schritte vom Bahnhof Zoo entfernt, zusammen mit anderen die Versöhnungslitanei aus Coventry. Eine Bitte darin heißt: „Vater, vergib unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Gefangenen, der Heimatlosen und Flüchtlinge.“ Die Litanei orientiert sich an den sogenannten „Todsünden“, zu denen auch die Trägheit gehört. Und damit ist gemeint, was mir selbst passiert ist: Gleichgültigkeit, mangelnde Teilnahme am Schicksal anderer Menschen, eine Trägheit des Herzens.
In anderer Form finde ich sie wieder in der Weise, wie wir in Europa auf das Schicksal der vielen Menschen reagieren, die beim Versuch ertrinken, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Die evangelische Kirche hat viel Kritik dafür geerntet, dass sie sich in der Seenotrettung engagiert. Ich habe selbst Emails bekommen, in denen mir Kirchenaustritte aus diesem Grund angekündigt worden sind. Und ich muss sagen: Wer wegen dieses Engagements aus der Kirche austritt, geht einen konsequenten Schritt. Denn die christliche Kirche ist nicht der richtige Ort für ihn oder sie. Mit dem Gebot der Nächstenliebe ist nicht zu vereinbaren, dass man Menschen ertrinken lässt.
Als Paradebeispiel für Nächstenliebe erzählt Jesus die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Der sieht einen, der unter die Räuber gefallen ist und halbtot am Straßenrand liegt. Der Samariter sagt nicht: „Was muss der sich auch in Gefahr bringen? Selber schuld!“ Sondern er hilft spontan. Dass es auch anders geht als gleichgültig, haben wir in Deutschland schon mehrmals bewiesen: 2015 bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge und 2022, als der Krieg in der Ukraine begonnen hat. Da haben viele Menschen erlebt, wie gut es sich anfühlt, wenn man nicht gleichgültig ist, Anteil am Schicksal anderer nimmt und ein mitfühlendes Herz hat.
Es gilt das gesprochene Wort.