Naiv
"Keiner bleibt verschont im Krieg" ist eine Lehre aus der Bibel.
02.09.2024 06:20

Keiner bleibt verschont im Krieg" ist eine Lehre aus der Bibel.

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"Nun geht das wieder mit den Lebensmittelkarten los." In Walter Kempowskis autobiographisch gefärbtem Roman "Tadellöser & Wolff" ist das die erste Reaktion der Mutter Grete auf die Nachricht vom Beginn des Zweiten Weltkriegs. Und weil Walter Kempowski ein überaus listiger Erzähler ist, überlässt er es seinen Leserinnen und Lesern, wie sie diesen Satz bewerten.

1939 lag der Weltkrieg, der später der Erste genannt wurde, erst gut 20 Jahre zurück. Grete Kempowski war im Weltkrieg noch ein Kind. Und vielleicht waren es tatsächlich die Lebensmittelkarten, an die sie sich am deutlichsten erinnern konnte. Diese für ein Kind besonders faszinierenden kleinen Papierchen, die man nicht verlieren durfte und die man täglich brauchte.

Was viele nicht ahnten

Der Roman "Tadellöser & Wolff" erzählt die deutsche Chronik als Geschichte politischer Naivität. In den Tagen nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September, gestern vor 85 Jahren, waren bestimmt nicht gleich alle Menschen in Deutschland äußerst besorgt. "Das wird schon nicht so lange dauern", werden sich viele gedacht haben. Dass und mit welcher Gewalt dieser Krieg, der von Deutschland ausging, nach Deutschland zurückkehren würde, konnte sich niemand vorstellen.

Lebensmittelkarten, na gut, eine Unbequemlichkeit beim Einkaufen, vielleicht auch ein eingeschränktes Angebot – wenn es dabei bleibt… Im September 1939 ahnte Grete Kempowski nicht, dass ihr Mann in diesem Krieg sterben, die Firma der Familie zerstört, ihre beiden Söhne und sie selbst nach dem Ende des Krieges Jahre in den Gefängnissen Bautzen und Hoheneck verbringen würden.

Keiner bleibt verschont im Krieg

Für die Familie Kempowski ist es alles andere als glimpflich ausgegangen. Und für Millionen Menschen in Deutschland und Europa weit schrecklicher. Es ist naiv zu glauben, dass irgendein Krieg, zu welcher Zeit auch immer, irgendwie glimpflich ausgehen könnte. "Keiner bleibt verschont im Krieg", das weiß schon der Prediger Salomo aus der Bibel. Eine deutliche Warnung davor, den politischen Dingen ihren Lauf zu lassen, anstatt wachsam zu bleiben. Als die Truppen der SA schon im braunen Hemd durch Rostocks Straßen marschierten, hatte man im Hause Kempowski nur leisen Spott für sie übrig. Wachsamkeit und Skepsis wären stattdessen vonnöten gewesen. Damit dieser Krieg gar nicht erst begonnen hätte.

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